Traum oder Wirklichkeit

Club Mitgliedschaft

Nichts ist so geeignet, das Gesicht Gottes zu verbergen, wie Religion. (Martin Buber)

Wie bin ich zu diesem Club geraten? So lange wie ich denken kann – und vermutlich auch schon davor – habe ich wohl irgendwie dazugehört: Durch eine Handlung, die für meine Eltern gesellschaftlich zum guten Ton gehörte, so wurde mir später berichtet, hatten mich diese durch einen hauptamtlichen Vertreter des Clubs in einer Fünf Minuten Zeremonie mit Hilfe einiger Tropfen Wasser zum Mitglied werden lassen. Warum man bei dieser Zeremonie so sparsam mit dem Wasser umging habe ich nicht verstanden, zumal ich trotz längerem Suchen in den Geschichtsbüchern keine Dürre in dem besagten Jahr ermitteln konnte. Ebenso entzieht es sich meiner Kenntnis warum die Aufnahme als Mitglied gerade so vonstatten ging.

Auf einmal war ich also Mitglied geworden, ohne je wirklich ein Wahlrecht gehabt zu haben. Als ich später im Begriff war ins Teenageralter einzutreten und der Club gerade jetzt nicht wirklich zu meinen Hauptinteressen zählte, drängten mich meine Eltern dazu dort die Vollmitgliedschaft zu erwerben und zu diesem Zwecke einen etwas längeren Einführungskurs regelmäßig zu besuchen. Man werde mich auch königlich dafür bezahlen, so lautete das alles entscheidende Argument. – „Nicht schlecht“, dachte ich damals, „vermutlich die bestbezahlte Ausbildung meines Lebens“ – oder war es vielleicht eine Form verkappter Manipulation, um etwas zu tun ohne den eigenen freien Willen dabei tatsächlich einzusetzen?
Nun, diese Ausbildung war nett. Wir, die Teilnehmer des Kurses, haben alles Mögliche über diesen Verein, seine soziales Engagements, sein reichhaltiges kulturelles Erbe und dessen Geschichte gelernt. - Ach ja, nebenbei wurde auch ein wenig über den Alten Herrn, der uns als Existenzgrund dieser Einrichtung präsentiert wurde, berichtet. Ganz schwach kann ich mich noch daran erinnern, dass er uns von dem Clubrepräsentanten eher wie ein fast schon fabulöses Wesen präsentiert wurde, zu dem ein dickes Buch voller Mythen gehört, welches man allerdings nicht zu ernst nehmen dürfe – so wurde uns gesagt! Nun, kurz und gut, irgendwie bemühten sich fast alle Kursteilnehmer darum, mit möglichst wenig Einsatz ans Ziel der ganzen Schulung zu gelangen. Dann aber gab es die lang erwartete Mega-Fete und die Auszahlungsfeierlichkeiten! Haufenweise Leute waren hierzu geladen worden und jeder brachte große Geschenke mit (die flachen in den Briefumschlägen fand ich dabei am besten!) – ach ja, und vorher noch eine feierliche Aufnahme in den Club, die vom lokalen Repräsentanten zelebriert wurde. Zwar habe ich im Laufe der Ausbildung alles mögliche über die Aktivitäten dieser Einrichtung verstanden und auch gelernt wie er organisiert ist, was aber irgendwie ziemlich zu kurz kam, war der Grund weshalb es notwendig sei in diesem Verein zu sein. – Nun, man muss ja nicht sofort alles verstehen!
Nachdem ich nun also vollwertiges Clubmitglied geworden bin mit dem Wissen, irgendwann zum zahlenden Mitglied aufzusteigen (so ähnlich ist das ja auch z.B. bei der Bank oder im Sportverein) und dann regelmäßige Mitgliedsbeiträge zu zahlen, habe ich das Ganze erst einmal auf sich ruhen lassen. Dieser Antikverein ist vermutlich gut für später, aber doch nicht für jetzt! Im Augenblick gibt es viel interessantere Themen!

Kurz vor meiner Hochzeit ist mir meine Mitgliedschaft wieder bewusst geworden, als mich Verwandte darauf aufmerksam machten, dass es absolut zum guten Ton gehöre, sich im Club nach dessen Regeln zu verheiraten. Wir sind also zu dem lokalen Vertreter gegangen, haben uns dort über allerlei Themen bestens unterhalten, nebenbei auch ein wenig über den Alten Herrn gesprochen, der angeblich das Zentrum und der Grund des Clubs sei, jedoch meistens zu einem Abstraktum verkommen ist und wenig Erwähnung erfährt. Da es Teil des Ritus ist aus den Analen des Alten Herrn einen Satz auszuwählen, der dann zum Leitspruch für die Zeremonie werden soll, haben wir dann darüber diskutiert, welcher dieser vielen - für mich meist wenig verständlichen Sätze - wohl geeignet oder schick sei! Insgesamt war die Begegnung mit dem Repräsentanten ganz locker und nett. Anschließend haben wir ihm auch versprochen, dass wir ab und zu mal bei seinen sonntäglichen Veranstaltungen vorbeischauen würden. Meine stille Hoffnung war allerdings, dass diese Meetings nicht mehr ganz so langweilig sein mögen, wie damals, als ich den Ausbildungskurs absolvierte.

Bei der Eheschließung hatte der Club den Redner und den Raum gesponsert. Ok, ich hab dem Redner und dem Musiker hinterher noch ein Trinkgeld zugesteckt. Gleiches gilt übrigens auch für die sterbenden Mitglieder!

Unser kirchlicher Freund Otto ist mit seinem Traumbericht noch nicht zu Ende – und so fährt er fort zu erzählen:

Wie sind die Vereinsstunden eigentlich aufgebaut. Im Prinzip verlaufen diese Zusammenkünfte stets nach einem sehr ähnlichen Schema. – Nun gut, es wird jahreszeitlich ein wenig nuanciert. Was das jedoch mit dem eigentlichen Vereinsgründer zu tun hat, habe ich nie wirklich verstanden! Die ganze Veranstaltung findet in größeren Orten meistens alle sieben Tage statt. Auf den Dörfern geht der Trend zunehmend mehr zu einem 2 – 4 Wochen Rhythmus! – Was das wiederum mit dem Verein an sich zu tun hat, wo doch die Zahl der Mitglieder derart rückläufig ist, habe ich nie wirklich durchschaut – aber man muss ja nicht alles verstehen!
Die ganze Veranstaltung dauert ziemlich genau 60 Minuten – wäre es mehr, so gäbe es Stress mit den Hausfrauen und dem zu Hause garenden Braten. Es werden verschiedene Worte des Alten Herrn vorgelesen (meist hat man gar keine Zeit darüber nachzudenken) – es werden eine paar oftmals recht antiquierte Lieder gesungen, die irgendetwas mit dem Alten Herrn zu tun haben – und die schon seit hunderten von Jahren genauso gesungen werden. (All das erinnert ein wenig an das Musical Anatevka - Tradition!!!) – Danach tritt der hauptamtliche Clubvorsitzende in meist schwarzer Robe auf und erzählt ziemlich genau 20 Minuten über oft wenig lebensnahe Themen aus dem Vermächtnis des Alten Herrn – ich glaube man nennt das Exegese oder so ähnlich! – Scheint nach meinen Beobachtungen entweder sehr theoretisch zu sein und hat wenig mit dem wirklichen Leben zu tun zu. Oder es betrifft das wirkliche Leben, aber hat fast nichts mit dem Alten Herrn zu tun! Ganz offensichtlich scheint der Redner sein Wissen an den Mann bringen zu wollen oder meint anderen qua Amt klarmachen zu wollen, warum das Vermächtnis des Alten Herrn eher im Sinne von Anekdoten und weniger als Lebensweisheiten zu verstehen sei.
Ist dieser Teil erledigt, so folgt entsprechend dem seit ewigen Zeiten festgelegten Ritus ein vorgesprochenes Bittgedicht an den Alten Herrn, wo man rasch noch um seine Hilfe des bittet – wie ernst das gemeint ist kann ich nicht beurteilen, allerdings habe ich – obschon ich diesen Veranstaltungen immer wieder beigewohnt habe – niemals gemerkt, dass da direkt etwas passiert ist (aber vielleicht braucht man das ja auch nicht zu erwarten!) Ist auch dieser Teil erledigt, so kommen noch ein paar Ansagen über die nächsten Tätigkeiten des Vereins und es wird dann noch Geld gesammelt für den eigenen oder für andere, ähnlich orientierte Vereine. Ist dies alles geschehen, viele Hausfrauen sind inzwischen merklich nervös (wegen dem Braten und so), viele junge Leute merklich gelangweilt (ist ja nicht wirklich was passiert) und viele Männer – von denen zumeist recht wenige da sind – überlegen sich still und im Geheimen, ob ein Glas Bier in der Kneipe unter Kollegen nicht attraktiver gewesen wäre.

Nebenbei bemerkt

Die Vorsitzenden in diesem Verein scheinen einer anderen Kaste anzugehören als das übrige Volk. Manche Leute munkeln, dass der Verein schon sehr, sehr alt sei. Da er schon bald an die 2000 Jahre alt ist muss man hier vielleicht historisch nachsichtig sein und es liebevoll im Sinne eines mittelalterlichen Zwei-Stände Systems interpretieren. Was mich nur bei der ganzen Sache ein wenig irritiert ist, dass ich in dem offenbar niedrigeren Stand oftmals mehr Leute treffe, die mir etwas über die Realität des Alten Herrn erzählen, als in der eher abstrakt und intellektuell wirkenden anderen Kaste. Hier höre ich an ganz vielen Orten durch die Vollzeit Repräsentanten so etwas wie „Der Alte Herr ist tot ...“ und zugleich – wie kommt es, das immer weniger Menschen sich unserem Verein verbunden fühlen. – Ehrlich gesagt, wenn es der statutengemäße Zweck dieses Vereins ist, nicht nur die netten Erinnerungen an den Alten Herrn wach zu halten, sondern aus seinem offenbar sehr reichhaltigen Erfahrungsschatz zu lernen, so stellt sich mir diese Haltung als absolutes Paradoxon dar!